Leseprobe
- torstenhofmannmusi
- 24. Mai
- 13 Min. Lesezeit
Underground Station
In der Dämmerung des frühen Abends stand Reno auf der Spitze eines Cloudtowers von AVIOR, umgeben von einer schwindelerregenden Aussicht auf die Stadt, die sich unter ihm ausbreitete. Die Plattform schien schwerelos in den Himmel zu ragen und Reno spürte, wie der Wind seine Kleidung leicht flattern ließ. Weit und breit war kein Tesserakt mehr zu sehen. Liu war nicht da.
Die Skyline von AVIOR war ein schillerndes Meer aus Lichtern und leuchtenden Gebäuden, die sich endlos in alle Richtungen erstreckten. Der Anblick war ergreifend, aber auch beunruhigend, da die Größe und Komplexität dieser Stadt ihn gleichzeitig einschüchterte. Sein Blick richtete sich zum Himmel empor, wo drei Monde in einer majestätischen Anordnung über der Stadt schwebten. Einer der Monde schien besonders nah zu sein, seine Größe und Helligkeit verlieh ihm eine überwältigende Präsenz am Himmelszelt. Reno hatte das Gefühl, er könne seine Hand ausstrecken und den Mond berühren, so greifbar schien er in der ruhigen Abendluft. Man konnte auf diesem Mond mit bloßem Auge die Umrisse von Kolonien erkennen, die sich entlang des großen Kraterrands erstreckten. In ihrem Anblick erkannte Reno nicht nur die unbestreitbare Schönheit des Nachthimmels, sondern auch die unzähligen Geheimnisse und Mysterien, die sich hinter seinem leuchtenden Schein verbargen. Jeder Mond schien eine Geschichte zu erzählen, ein Versprechen von Abenteuern und Entdeckungen, die darauf warteten, enthüllt zu werden. Die Szenerie verlieh der Nacht eine fast mystische Atmosphäre und das sanfte Licht der nahenden Nacht hüllte die Umgebung in ein warmes Leuchten. Doch gleichzeitig war ihm bewusst, dass diese Schönheit von der Realität überschatten wurde - die Unterdrückung, von der er gehört hatte und die Macht von Darius, die alles kontrollierte. Reno begann zu verstehen, dass die Rettung dieser Stadt eine Herausforderung von gewaltigem Ausmaß sein würde.
Plötzlich vernahm er ein Rufen in der Ferne, das vom Rande der Plattform zu kommen schien. Er entdeckte zwei schemenhafte Gestalten, die im Licht der Sterne schimmerten. Es waren zwei Uniformierte.
„Hey, stehen bleiben!“, riefen sie ihm zu.
Die beiden Männer sahen wie Leute eines Sicherheitsdienstes aus. Reno wusste, dass er keine Zeit zu verlieren hatte. Er musste weg, sofort. Instinktiv rannte er los, vorbei an Maschinen und blinkenden Konsolen, hin zu einer Stahltür am anderen Ende der Plattform. Für einen Moment dachte er, sie würde nicht nachgeben, doch dann öffnete sie sich mit einem zischenden Geräusch. Er entdeckte nun am anderen Ende des kleinen Raumes eine weitere Tür, auf die er so schnell er konnte zulief und mit einem kräftigen Stoß öffnete er auch diese Tür. Dahinter führte eine Treppe hinunter, die er hektisch abwärts hastete. Jeder Schritt ließ sein Herz schneller schlagen und ein heftiges dumpfes Pochen erfüllte seine Brust. Endlich unten angekommen, wehte ihm ein scharfer Wind entgegen, als er auf eine kleine Plattform hinaustrat. Der Pfad schmiegte sich wie ein schmaler Grat um den mächtigen Cloudtower, der in den Himmel ragte. Am Ende des Gangs sah er nun einen Fahrstuhl. Inmitten der schwindelerregenden Höhe war dieser Lift für Reno wie ein rettender Anker. Ohne nachzudenken, setzte er sich in Bewegung und lief direkt darauf zu.
Völlig außer Atem erreichte er den Aufzug, öffnete die Tür und sprang hinein. Die Tür schloss sich hinter ihm und für einen kurzen Moment konnte Reno durch die schmalen Spalten noch die beiden Männer sehen, die nun ebenfalls auf den Fahrstuhl zustürmten. Doch die Tür verschloss sich gerade noch rechtzeitig. Er konnte noch ihre Schritte hören, dann das verzweifelte Hämmern an der Metalltür, doch es war zu spät. Die für Reno rettende Kapsel setzte sich in Bewegung und glitt in die Tiefe.
Unten angekommen eilte Reno aus dem Aufzug. Menschen huschten durch die Lobby, einige eilten zu den anderen Fahrstühlen, andere verschwanden durch große Türen, die in verschiedene Richtungen führten. Reno steuerte auf eine Ausgangstür zu, die von einem schwachen blauen Leuchten umrahmt war. Vor der Tür wartete eine kleine Menschenschlange. Er erkannte jetzt, dass die Personen dort nacheinander gescannt wurden. Ihm wurde klar, dass er dort ohne Biochip nicht unerkannt durchkommen würde. In diesem Augenblick sah er am anderen Ende einen weiteren Aufzug ankommen. Es waren die beiden Uniformierten von der Dachplattform und sie suchten anscheinend immer noch nach ihm. Reno hatte keine Zeit zu verlieren. Er wartete auf einen geeigneten Moment und genau in dem Zeitfenster, als sich die Tür für eine gescannte Person öffnete, rannte er so schnell er konnte zur Tür und drängelte sich mit dieser Person hinaus. Sofort ging eine Alarmsirene an.
Ein Sicherheitsmann schrie: „Halt, stehen bleiben! Stehen bleiben!“
Reno achtete nicht auf die Anweisung, er kannte nur eine Richtung: Schnell weg von diesem Gebäude!
Draußen angekommen rannte er zunächst ziellos die Straße entlang. Unvermittelt fiel ihm ein besonderes Hologramm auf, das er recht schnell deuten konnte. Es zeigte den Weg in Richtung der nächsten Underground-Station. Reno verlangsamte sein Tempo und passte sich dem allgemeinen Tempo der Passanten an, denn er wollte jetzt keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Er folgte zielstrebig den Hologramm-Anweisungen zur nächsten Station.
Endlich betrat er den Eingang der Station. Die Menschen liefen zu den verschiedenen Wartebereichen, während andere bereits in die besonderen Pods einstiegen, die wie schwebende Kokons an den Bahnsteigen ruhten. Es waren Hypertube-Pods, die eine schnelle Möglichkeit boten sich durch die Stadt zu bewegen. Die Situation schien sich wieder zu verdichten, denn erneut sah er Scanner in den Wartebereichen mit Polizisten. Eine schnelle Entscheidung war gefragt. Reno wusste, dass er unauffällig handeln musste, um sich nicht in noch größere Schwierigkeiten zu bringen. Er schlängelte sich langsam zwischen den Wartenden hindurch, auf der Suche nach einer Möglichkeit unbemerkt eine Hypertube zu erreichen.
Doch dann zögerte er und blieb kurz stehen. Ein Hypertube-Pod würde vielleicht im Inneren per Scan überwacht werden. Sein Vorhaben schien ihm zu riskant. In diesem Moment erkannte er in einem schmalen Nebengang eine kleine Seitentür. Entschlossen steuerte Reno auf diese Tür zu, die wohl für das Wartungspersonal oder Techniker gedacht war. Er war sich bewusst, dass er das Risiko einging in Bereiche zu gelangen, in die er nicht gehörte. Aber in diesem Moment war jede Option besser als die Möglichkeit, von den Polizisten entdeckt zu werden.
Die verbotene Zone
Die Tür klemmte und ließ sich schwer öffnen, doch sie war unverschlossen und mit einem flüchtigen Blick über die Schulter betrat Reno den schmalen, düsteren Gang hinter der Tür. Ein schwacher Lichtstrahl fiel durch die spärlichen Lampen, die an der Decke hingen. Der enge Flur schien zu einem verwinkelten Labyrinth zu führen und Reno hoffte, dass er einen Ausweg finden würde, ohne auf unerwünschte Gesellschaft zu treffen. Der schmale Gang war von durchsichtigen Schläuchen und Kabeln flankiert, von denen einige erleuchtet waren. Viele Leitungen schlängelten sich an den Wänden entlang und führten zu Schaltkästen. Das leise Summen von Maschinen hallte durch den Gang und mischte sich mit dem regelmäßigen Rauschen der Lüftungssysteme. Reno tastete sich durch das Labyrinth aus Technik, wobei er versuchte das Licht aus den wenigen Lampen zu nutzen. Sein Blick fiel auf eine kleine, kaum sichtbare Luke. Sie war unauffällig und etwas versteckt, wie ein Notausgang in einem vergessenen Teil des Tunnelsystems. Auf der Luke war ein kantiges, fast schon aggressives Schriftbild zu sehen und die roten Markierungen ließen ihn instinktiv erkennen, dass hier eine Warnung ausgesprochen wurde. Dies war eine verbotene Zone, die er besser nicht betreten sollte. Es war riskant, aber Reno zögerte nicht. Er öffnete die schmale Luke und schaute in den Schacht dahinter. Er war düster und wirkte ungenutzt. Der Schacht schien nach unten in unbekannte Tiefen zu führen, doch es war eine Möglichkeit den Polizisten zu entkommen. Unbeirrt stieg Reno die Leiter hinunter, während er vorsichtig darauf achtete nicht zu viel Lärm zu verursachen. Dann schloss er wieder die Luke von unten. Die Schatten verschluckten das Licht und umgaben ihn in einer Dunkelheit. Mit jedem Schritt nach unten verstärkte sich das Gefühl der Beklommenheit. Die Umgebung war still, nur den dumpfen Klang seiner eigenen Schritte auf den Metallstufen konnte man hören. Die Luft wurde etwas stickig und das Gefühl der Isolation umgab ihn immer stärker. Nach der letzten Sprosse erreichte er unten einen kleinen Raum, von dem aus sich viele schmalen Gänge in mehrere Richtungen verzweigten. Ohne zu überlegen entschied er sich für den schmalen Tunnel halb rechts vor ihm und setzte seinen Weg fort, getrieben von dem Verlangen den Verfolgern zu entkommen. Die Düsterkeit um ihn herum war beinahe undurchdringlich. Reno verlor das Zeitgefühl, während er durch die unzähligen Tunnel streifte. Die Gänge erstreckten sich in alle Richtungen, endlose Korridore, die sich in der Dunkelheit verloren. Alles verschwamm zu einem einzigen Labyrinth aus Schatten und Bedrückung.
Er kam an eine Nische im Tunnel. Dort blieb er stehen, denn er hatte völlig die Orientierung verloren. Ein Schauer lief ihm über den Rücken und zum ersten Mal überkam ihn die Erkenntnis: Er könnte hier unten für immer verloren sein. Er würde nie wieder zurück finden, selbst wenn er es wollte. Reno ließ sich schwer atmend in eine Ecke dieser kleinen Bucht fallen. Sein Herz raste und der Puls in seinen Schläfen hämmerte. Er versuchte sich zu erinnern, wie er hierher gekommen war, aber das Labyrinth aus Gängen und Schächten hatte ihn verschlungen. Hier würde ihn bestimmt niemand finden, was er ja eigentlich wollte, aber andererseits würde er wahrscheinlich hier unten sterben und keiner würde es mitbekommen. Zusammengekauert lehnte er sich erschöpft an eine kühle Wand. In Reno breitete sich eine erdrückende Stille aus, die sich mit der leeren und unheimlichen Ruhe des verlassenen Tunnels vereinte.
Nach einiger Zeit nahm er etwas wahr, doch er konnte dieses Gefühl nicht genau fassen. Hören konnte er nichts - im Tunnel war es leise. Trotzdem spürte er eine unsichtbare Präsenz.
Dann stockte ihm der Atem. Er war wie elektrisiert. Vor ihm schwebten kleine Drohnen durch die Luft und scannten ihn mit ihren Kameras. Plötzlich, wie auf ein stummes Signal hin, flogen die Drohnen sehr schnell weg von ihm in Richtung des Ganges. Dort bemerkte er jetzt eine schattenhafte Gestalt, die im fahlen Licht stand. Die Drohnen schienen sich um sie zu sammeln, als würden sie sich auf ein gemeinsames Ziel vorbereiten. Dann positionierten sich die Drohnen wie von Geisterhand hinter dem Rücken der Gestalt. Es war, als würden sie sich auf mysteriöse Weise mit ihr verschmelzen.
Reno verharrte und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, nur die Umrisse dieser Person. Er hielt den Atem an, während die Gestalt näher kam. Er hatte große Angst. Würde er jetzt sterben? Die Person sprach leise in die Dunkelheit.
„Wer bist du? Was machst du hier unten?“, erklang eine weiblich klingende Stimme, die schwach im Raum widerhallte.

Reno zögerte, bevor er antwortete. Er konnte jetzt Umrisse ihres Gesichts erkennen, sie trug eine Kapuze. Er sah auch eine Waffe an ihrem Gürtel und einen merkwürdigen kleinen Kasten. Was darin verborgen war konnte er nicht sehen. Vermutlich trug sie noch weitere Waffen an ihrem Körper versteckt. Zudem hatte sie vor ihren Augen eine merkwürdige kleine Vorrichtung, ähnlich wie eine Brille, auf der immer wieder Mini-Hologramme auftauchten.
Er antwortete: „Mein Name ist Reno und ich habe mich völlig verlaufen. Ich war in einer Underground-Station und bin durch eine Luke gestiegen. Ich war einfach neugierig. Eigentlich wollte ich wieder zurück zur Station, aber ich habe mich immer mehr verirrt. Dann bin ich hier gelandet.“
Die mysteriöse Fremde beäugte ihn mißtrauisch. Sie stand still da und schaute ihn sich von oben bis unten an. Reno schaute sie unsicher und fragend an.
Eine Weile musterte sie Reno noch, dann antwortete sie: „Mein Name ist Nyala.“
Reno stand reglos da, seine Augen auf sie gerichtet. Er ließ ihren Namen in seinem Kopf widerhallen, doch er sagte nichts. Das Einzige was er wahrnahm, war die Ruhe, die sie umgab - eine stille Entschlossenheit, die sie wie eine unsichtbare Aura umhüllte. Er versuchte ihr Gesicht etwas besser zu sehen, was ihm aber nicht gelang.
Nach einem kurzem Augenblick fügte sie hinzu: „Ich bin recht oft hier unten. Beruflich sozusagen.“
Reno glaubte einen Hauch eines Lächelns im schattigen Gesicht zu erkennen. „Sag mir die Wahrheit. Warum bist du wirklich so tief hinunter gegangen und warum trägst du keinen Chip? Hast du dort oben etwas ausgefressen?“, fragte sie mit einem kräftigerem Unterton.
„Bist du eine Polizistin? Willst du mich jetzt verhaften? Oder vielleicht sogar…“ Reno rechnete mit dem Schlimmsten.
„Nein, ich bin keine Polizistin. Und ich habe auch nicht vor dich zu erschießen!“, antwortete sie bestimmt. Sie schaute ihn wieder fordernd an und wartete auf eine Erklärung. Reno spürte ihren forschenden Blick auf sich ruhen und er rang innerlich mit sich, wie viel er ihr anvertrauen konnte. Er antwortete zaghaft: „Wenn du wüßtest was mir die letzten Stunden alles passiert ist, dann hättest du sicherlich Verständnis dafür, dass ich dir nicht alles klar sagen kann. Es ist so unglaublich kompliziert. Es sind so viele seltsame Dinge passiert, die selbst ich nicht verstehe, geschweige denn dir erklären könnte.“
Reno zögerte einen Moment. Nyala schaute ihn immer noch fragend an. In seinem Kopf rasten die Gedanken - sollte er ihr die Wahrheit sagen? Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Irgendetwas an ihr war anders. Es war, als könne ihr Blick in die tiefsten Winkel seines Inneren blicken.
„Ja, es stimmt, ich wurde verfolgt. Ich bin vor Polizisten geflohen und ich hatte keine Ahnung wo ich mich verstecken sollte, weil ich mich in dieser Stadt nicht auskenne und sowieso erst seit einigen Stunden hier bin und außerdem aus einer anderen Welt komme. Es gibt eigentlich nur zwei Personen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, Liu und Banto. Die beiden haben mir geholfen. Ansonsten scheint es in eurem AVIOR ziemlich düster zu sein und äußerst unfreundlich. Dann war ich wieder ganz allein und jetzt habe ich dich getroffen und ich weiß nicht, was mir als nächstes passiert.“
Er schaute sie an: „Du glaubst mir wahrscheinlich kein einziges Wort, oder?“
Nach einer Weile der Stille sprach sie in einem geheimnisvollen und verwunderten Tonfall zu ihm: „Du hast Liu getroffen?“
Reno nickte: „Ja. Kennst du sie?“
Nyala atmete tief ein: „Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was du da gerade erzählt hast, dann hast du in kürzester Zeit die größten Feinde des Systems kennengelernt.“
„Des Systems?“
„Ich meine die Machtstrukturen von Quantum Helix und Darius.“
„Bist du auch gegen das System?“, fragte Reno vorsichtig.
„Ich bin die meistgesuchte Widerstandskämpferin von AVIOR. Ich bin der Albtraum des Systems! Eine Schattengängerin!“, sprach Nyala mit einem gewissen Stolz im Stimmklang. „Und ja, ich kenne Liu“, fügte sie noch hinzu. Dann fuhr sie fort: „Ich weiß nicht, wer du wirklich bist und welche Rolle du spielst…“, sie hielt kurz inne, als würde sie ihre Gedanken abwägen, „aber ich glaube dir. Allerdings weiß ich nicht, ob die Anführer☼innen des Widerstands dir so einfach glauben werden.“
Reno schaute sie zweifelnd an.
„Du bringst mich zu Anführern des Widerstands?“
„Ich kann dich jetzt nicht mehr so einfach gehen lassen. Du hast immerhin gerade mit einer gesuchten Schwerverbrecherin gesprochen. Zudem kennst du Liu und Banto. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Das System wird dich dort oben schnell erwischen. Du wirst also mit mir kommen!“
„Und was wird dann mit mir passieren?“
„Du wirst erst einmal ein Gefangener des Widerstands sein. Du kommst in eine Arrestzelle, solange bis wir Genaueres über dich in Erfahrung gebracht haben.“
Reno hielt kurz inne. Dann sagte er: „Jedenfalls komme ich lieber mit dir mit, als noch einmal nach oben zu gehen.“
Daraufhin erwiderte sie: „Wir haben noch einen längeren Weg vor uns. Es gibt zahlreiche Sicherheitschecks, jede davon kann für dich tödlich enden. Eine davon ist besonders gefährlich. Wir werden durch die "Höhle der tausend bunten Lichtschranken" gehen. Wenn du mir dort nicht unmittelbar auf dem gleichen Pfad folgst, wirst du sterben.“
Reno zögerte kurz, bevor er antwortete: „Ich werde dir ganz bestimmt exakt folgen.“
Nyala ging voran und Reno folgte ihr. Er hatte immer noch nicht ihr Gesicht gesehen. Sie verbarg es weiterhin. Er bemerkte, wie geschmeidig und sicher sie durch die düsteren Gänge und Schächte navigierte. Manchmal verband sie seine Augen, damit er bestimmte Wege nicht erkennen konnte.
Schließlich kamen sie zum Eingang der "Höhle der tausend bunten Lichtschranken". Nyala wandte sich noch einmal direkt Reno zu und schaute ihm in die Augen. Sie sagte eindrücklich: „Du musst immer hinter mir bleiben. Geh keinen anderen Weg.“
In diesem Moment konnte Reno zum ersten Mal deutlich ihr Gesicht sehen, weil aus der Höhle genügend Licht zu ihnen schien. Reno traf es wie ein Blitz! Gänsehaut bildete sich auf seinem ganzen Körper.
Nyala war DIESE Frau, die er kurz vor der Ankunft in der City von AVIOR gesehen hatte. Es war zwar nur ein kleiner Moment, doch er hatte sie seitdem nicht mehr vergessen können.
„Hast du mich wirklich verstanden? Das ist sehr wichtig!“, sagte Nyala deutlich zu Reno, nachdem er sie wie erstarrt anschaute.
„Ist alles in Ordnung mit dir? Du musst dich jetzt konzentrieren!“, sagte sie bestimmt zu ihm. Reno konnte diese Begebenheit nicht so schnell einordnen, deshalb beschloss er kein Wort darüber zu verlieren.
Er antwortete nach seiner kurzen Regungslosigkeit: „Ja, alles gut.“
Nyala schaute ihn noch einen Augenblick an, bevor sie wieder voraus ging.
Wie konnte das alles möglich sein? Ausgerechnet ihr hatte er bei seiner Ankunft in die Augen geschaut. Ab diesem Zeitpunkt hatte Reno keine Zeit mehr für solche Gedankengänge. Es war ein atemberaubender Anblick. Überall in der großen Höhle schienen hunderte von Lichtstrahlen wild umher zu wirbeln. Er war bereit, sich dieser Herausforderung zu stellen und konzentrierte sich darauf jeden ihrer Schritte genau zu beobachten, um ihr sicher in diesem komplexen Labyrinth aus Lichtschranken folgen zu können. Nyala bewegte sich nicht nur elegant durch die Lichtstrahlen, die den Raum durchzogen, sondern sie lief auch teilweise AUF den Lichtstrahlen. Es war offensichtlich kein Licht, wie Reno es aus seiner Welt kannte. Er erinnerte sich an das Licht, das er in der gigantischen Halle in Lius Welt gesehen hatte. Auch dort konnte er auf manchen Lichtwegen gehen, doch er wollte dieses Erlebnis nicht vor Nyala erwähnen.
Es bildeten sich immer wieder Lichtstraßen und Wege, die, nachdem sie auf ihnen gegangen waren, wieder verschwanden als wären sie niemals da gewesen. Reno folgte ihr mit äußerster Präzision, seine Augen fixiert auf ihre Gestalt, die sich geschickt zwischen den sich bewegenden Zauberlichtern durchmanövrierte. Das Licht spielte über ihre Körpersilhouetten und ihr Anblick war wie eine Choreografie inmitten der schillernden Glanzpunkte. Jede Bewegung Nyalas war von Anmut und Leichtigkeit erfüllt. Ihre Schritte waren ein graziler Ausdruck ihrer inneren Kraft. Reno war wie hypnotisiert von der Schönheit ihrer BEWEGUNGEN.
Dann verlangsamte Nyala ihre Schritte. Sie hob ihre Hand und Reno erkannte, dass sie eine bestimmte Lichtschranke erreicht hatten, die besonders tückisch aussah. Es war ein schmaler Pfad zwischen zwei pulsierenden Lichtstrahlen.
„Vorsichtig jetzt!“, sagte sie. „Das ist der heikelste Teil. Bleib auf dem Pfad, den ich einschlage.“
Er nickte stumm und konzentrierte sich noch intensiver. Jeder Schritt war genau berechnet, jede Bewegung mit äußerster Vorsicht ausgeführt. Die Luft war mit Spannung geladen, als sie sich durch diesen besonderen Abschnitt der Lichterhöhle bewegten. Sein Herz raste, aber er hielt inne und passte seinen Schritt an Nyala an.
Sie führte ihn sicher an dem bedrohlichen Licht vorbei. Als sie schließlich die letzte Lichtschranke passierten und in einen Raum aus ruhigen, sanften Lichtern traten, atmeten sie beide erleichtert auf. Nyala drehte sich zu Reno um und ein flüchtiges Lächeln spielte auf ihren Lippen.
„Du hast es geschafft.“
Reno war erleichtert, aber auch voller Bewunderung für Nyalas Fähigkeiten. Zudem überkam ihn ein sonderbares Gefühl, das er noch nicht einordnen konnte. Für einen kleinen Moment stand er einfach da und staunte. Er fand ihr Lächeln unglaublich schön.
Dann antwortete er: „Danke. Das war wirklich beeindruckend. Wo führt uns dieser Weg als Nächstes hin?“
Sie deutete auf einen dunklen Gang, der vor ihnen lag.
„Das ist unser Weg in eine Welt voller Geheimnisse und Abenteuer. Bist du bereit für die Unterwelt von AVIOR?“
Reno nickte zustimmend und folgte ihr in die Dunkelheit, bereit für alles, was vor ihm lag.
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